Vorsitzenderwechsel beim Betriebsrat Wolfsburg

Bernd Osterloh übergibt den Vorsitz als Betriebsrat in Wolfsburg an Daniela Cavallo.
Ein Portrait von Daniela Cavallo findet ihr unter  businessinsider.de
Bernd Osterloh verabschiedet sich mit folgenden Worten:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Volkswagen-Familie,
 

seit einigen Tagen bin ich seit 44 Jahren bei Volkswagen. Seit 1982 bin ich gewählter Vertreter der Belegschaft, zunächst als Vertrauensmann, später als Betriebsrat. Seit 2005 habe ich Eure Interessen als Vorsitzender im Gesamt- und Konzernbetriebsrat sowie als Präsident des Europäischen- und Weltkonzernbetriebsrats vertreten. Jetzt höre ich in diesen Funktionen auf. Ich weiß, das überrascht. Mit diesem Schreiben erkläre ich die Gründe.

In Politik und Wirtschaft lässt sich regelmäßig beobachten, dass Generationenwechsel nicht richtig funktionieren. Sie laufen zu spät an, sorgen für Streit und richten oft bleibenden Schaden an. Für meine Staffelübergabe habe ich mir immer das Gegenteil gewünscht: rechtzeitig und nachhaltig.

Die vergangenen 16 Jahre an der Spitze der Arbeitnehmervertretung bei Volkswagen haben mir und meinen Kolleginnen und Kollegen alles abverlangt. Nach dem Skandal um meinen Vorgänger habe ich 2005 die Führung unserer Gremien quasi über Nacht übernehmen müssen. Der Schaden für das Ansehen unserer Mitbestimmung war gewaltig, die Erwartung an mich entsprechend groß. Auch das Unternehmen steckte damals in schwierigen Zeiten. Mit dem Zukunftstarifvertrag ist es uns 2006 trotzdem gelungen, Veränderungen sozialverträglich zu gestalten. Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit als gleichrangige Unternehmensziele – das haben wir all die Jahre erfolgreich verwirklicht. Dabei war ich die ganze Zeit eigentlich immer im Krisenmodus: Übernahmeversuch durch Porsche, Kampf ums VW-Gesetz, Finanz- und Wirtschaftskrise, Dieselgate, Zukunftspakt, die Aufstellung unserer deutschen Standorte für die E-Mobilität, unsere Roadmap und zuletzt Corona.

Bei all dem war ich nie amtsmüde. Auch nicht, als vor einigen Wochen für mich eine ganz wichtige persönliche Entscheidung anstand. Wir blicken auf das Superwahljahr 2022. Denn dann wählt Ihr, Kolleginnen und Kollegen, Eure neuen Betriebsräte. Und es geht nächsten Frühling auch darum, Eure Vertreterinnen und Vertreter im Aufsichtsrat der Volkswagen AG zu bestimmen. Die IG Metall wird in den nächsten Wochen die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlliste zum Aufsichtsrat nominieren. Ich musste mich jetzt also endgültig entscheiden, ob ich noch einmal antrete.

All die Jahre stand ich mit meiner Arbeit für einen klaren Kurs und für unmissverständliche Ansagen. Dabei habe ich nie falsche Rücksicht auf Personen genommen. Und exakt so halte ich es jetzt auch mit mir selber zum Ende meiner Amtszeit. Daniela Cavallo hat als meine Stellvertreterin zweieinhalb Jahre hervorragende Arbeit geleistet. Sie ist führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele noch wundern werden. Daniela bringt genau zur richtigen Zeit alles mit, um im Team mit unseren starken Gremien Eure Belange als Beschäftigte weiter wie gewohnt durchzusetzen und die Transformation aktiv zu gestalten. Ich habe gerade auch in letzter Zeit wieder oft mit Zufriedenheit festgestellt: Unser Motto „gemeinsam unschlagbar“ hängt nicht an meiner Person.

In den vergangenen Wochen habe ich dann meine Entscheidung getroffen und einen ersten kleinen Kreis Vertrauter eingeweiht: Es gibt jetzt einen klaren Schnitt, keinen Abschied auf Raten. Meine Staffelübergabe erfolgt somit früh genug und eindeutig. Exakt so habe ich mir das immer gewünscht. Aber ich gebe auch zu: Ich habe intensiv nachgedacht. Denn nach all den Jahren fällt mir dieser endgültige Schritt natürlich nicht leicht. Umso dankbarer bin ich, dass die Vorzeichen wie erwartet stimmen. Ich weiß hier alles in besten Händen. Daher ist es jetzt an der Zeit. Diesen Moment muss man erkennen können. Das braucht Instinkt und Menschenkenntnis in eigener Sache. Ich meine, mir ist das gelungen. Vor allem aber habe ich bei meiner Nachfolgerin ein sicheres Gefühl.

Viele von Euch haben mich in den vergangenen Monaten angesprochen und gesagt: „Bernd, Du musst hier noch viele Jahre weitermachen! Bitte bleib uns möglichst lange erhalten!“ Auch aus den Gremien hatte ich immer wieder diese Rückmeldungen: „Bernd, Du bist der Mister Mitbestimmung. Weiter so!“ Solche Wertschätzungen haben mich immer gefreut, ist doch ganz klar. Aber ich konnte schon immer gut trennen zwischen Person und Amt.

Meine Macht war immer unsere Macht. Sie war immer nur geliehen. Die starke Mitbestimmung bei Volkswagen hängt nun wirklich nicht an mir allein. Sie hängt an unserem hohen Organisationgrad, an herausragenden Wahlergebnissen der IG Metall, an unserer starken Stellung im Aufsichtsrat und in erster Linie am Einsatz hunderter Betriebsrätinnen und Betriebsräte und tausender Vertrauensleute.

Während meiner Überlegungen in den vergangenen Wochen spielte es auch eine Rolle, dass die Unternehmensseite an mich mit dem Angebot herangetreten war, bei der TRATON SE die vakante Position des Vorstandsmitglieds für den Bereich Personal zu übernehmen. Auch darüber habe ich lange nachgedacht. Wie Ihr wisst, hatte ich in der Vergangenheit mehrere Angebote, Positionen in den Vorständen der Marken oder auch im Konzernvorstand zu übernehmen. Gereizt hat mich das immer. Gemacht habe ich es nie. Weil mein Platz an der Spitze der Belegschaft war. Das ist nun anders.

Ich habe mich daher entschieden, noch einmal für diese neue Aufgabe zur Verfügung zu stehen. Ich werde diese Funktion ab Mai übernehmen. Die TRATON SE spielt eine Schlüsselrolle in der Strategie des VW-Konzerns für die kommenden Jahre. Ich gehe dort demnächst in die direkte operative Personalverantwortung für weltweit fast 100.000 Beschäftigte. Diese Aufgabe reizt mich. Ich will noch einmal unternehmerisch gestalten und in den nächsten Jahren ganz konkret mit meiner Arbeit im Vorstand dazu beitragen, dass die TRATON SE ihren Weg zu einem ‚Global Champion‘ in der Nutzfahrzeugbranche erfolgreich meistert. Ich freue mich schon heute auf meinen Start in München.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein anderer Gang wird für mich viel schwerer: Ich verlasse heute mein Büro an der Südstraße im Werk Wolfsburg an meinem letzten Tag als Vorsitzender der Arbeitnehmervertretung. Es sind 44 Jahre und elf Tage. Und natürlich werde ich einen Kloß im Hals haben. Der Einsatz für unser Unternehmen und für Eure Interessen als beste Belegschaft der Welt ist ein zentraler Inhalt meines Lebens und bleibt als solcher immer ein Teil von mir. Meine Bilanz ist rundum positiv.

Ich danke Euch allen für Eure Unterstützung und Euer Vertrauen.

Ja, ich habe viel geopfert. Aber nein, ich habe nie gezweifelt, dass es das immer wert war.

Macht es gut! 

Euer Bernd Osterloh